Viergleisiger Ausbau Daglfing-Johanneskirchen: Das geht besser!

08. Juli 2020

Ende April hat die DB Netz AG das Ergebnis einer sogenannten Grobvariantenuntersuchung zum viergleisigen Ausbau im Bahnabschnitt Daglfing-Johanneskirchen dem Bundesverkehrsministerium vorgelegt. Hinter verschlossenen Türen fällte das Verkehrsministerium die Entscheidung, von seiner Seite nur noch den oberirdischen Ausbau weiterzuverfolgen. Stück für Stück dringen nun die Details an die Öffentlichkeit. Ich finde sowohl das Vorgehen als auch das Ergebnis fragwürdig und fordere Verbesserungen ein.

Es geht darum die derzeit zweigleisige Strecke Daglfing-Johanneskirchen auf vier Gleise auszubauen, um mehr Kapazitäten für den Güterverkehr zu schaffen. Der Abschnitt ist zusammen mit den Projekten der Daglfinger und Truderinger Kurve Zulaufstrecke zum Brennerbasistunnel und Teil des Transeuropäischen Netzes (TEN) im Skandinavien-Mittelmeer-Korridor. Dabei sollen mehr Güter zwischen den Nordseehäfen und den Mittelmeerhäfen über den Brennerbasistunnel transportiert werden können. Weiter sollen die Stationen Johanneskirchen und Daglfing barrierefrei ausgebaut und der Bahnhof Englschalking zusätzlich mit der verlängerten U-Bahnlinie 4 vom Arabellapark verknüpft werden. Außerdem sollen die Bahnübergänge an der Brodersen- und Daglfinger Straße und damit die Wartezeiten an geschlossenen Schranken wegfallen.

Echte Bürgerbeteiligung sieht anders aus

Gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern finde ich es nicht tragbar, dass die DB Netz AG und das Verkehrsministerium so eine Entscheidung ohne Öffentlichkeitsbeteiligung im Hinterzimmer treffen, dann geladenen Pressevertretern ihre Sichtweise erläutern bevor sie den gewählten Vertreterinnen und Vertretern vom Oberbürgermeister über den Stadtrat, Bezirksausschuss bis hin zu uns Bundestagesabgeordneten unzureichend Informationen zukommen lassen und ansonsten auf Ihre Website verweisen. Die Verantwortung für die Ausbauprojekte im Schienengüterverkehr liegt beim Bundesverkehrsminister, der die DB Netz AG mit der Planung und Durchführung beauftragt. Die Landeshauptstadt München kann sich in die Planungsprozesse nur beratend einbringen. Ein Milliardenprojekt dieser Größenordnung, in dem es um das Nadelöhr des europaweiten Güterverkehr geht und das mitten durch besiedeltes Gebiet in der größten Kommune Deutschlands führt, kann aber nicht einfach auf dem Verwaltungsweg behandelt werden.

Dass es auch anders geht sieht man an anderer Stelle des Brennernordzulaufes, nämlich im Landkreis Rosenheim. Dort haben zur Trassenplanung seit 2015 bisher 109 Gemeindeforen mit den BürgermeisterInnen und VertreterInnen von der lokalen Bürgerinitiativen und Vereinigungen sowie von Landwirtschaft und Wirtschaft und 20 darauf aufbauende Regionalforen stattgefunden. Es gibt einen Regionalen Projektbeirat, dem auch ich angehöre, und einen Lenkungskreis aus den beteiligten Bundesministerien, Ländervertretern und Bahnunternehmen. Aus der Bürgerbeteiligung entstanden 110 unterschiedliche Vorschläge, die nachvollziehbar in die Planungen einfließen. Hier drängt sich schon die Frage auf, warum die Beteiligung den Bürgerinnen und Bürgern im Münchner Osten verwehrt wird.

Für mich ist ein weiterer wichtiger Punkt unsere Befassung im Deutschen Bundestag. Gerade erst letzte Woche wurden wir über das Ergebnis der Vorplanung und der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Strecke Hamburg-Lübeck-Puttgarden unterrichtet und es gab einen Beschluss, der die Forderungen der Anwohnerinnen und Anwohner nach mehr Lärmschutz über den gesetzlichen Mindeststandard hinaus aufgreift und seitens des Bundes mehrheitlich finanziert. Für die angesprochenen Schienenausbaumaßnahmen in München erwarte ich vom Verkehrsminister, dass er sie uns im Bundestag im gleichen Umfang vorlegt und wir darüber entscheiden, wie das auch schon bei der Rheintaltrasse der Fall war, wo daraufhin in Offenburg zum Schutz der Bevölkerung die Mehrkosten für einen 7 km langen Tunnel statt eines oberirdischen Ausbau allein vom Bund getragen wurden.

Die Ergebnisse der Variantenuntersuchung im Detail

Der Ausbau kann in einem rund 2,5 km langen Tunnel, tiefergelegt in einem Trog oder rein oberirdisch erfolgen. In der Grobvariantenuntersuchung bewertete die Universität Innsbruck diese drei Varianten anhand verschiedener Kriterien. Das Kriterium „Akzeptanz der Planung in der Bevölkerung“ berücksichtigte die DB Netz übrigens wegen angeblich „fehlender Objektivität“ nicht. Die Untersuchung hatte zum Ergebnis, dass alle drei Varianten die verkehrlichen, technischen und planrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Die Variante „Trog“ schied aus, da sie gegenüber dem Tunnel keine Vorteile zeigte, aber ähnlich viel kosten würde.

Betrachtet man die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zeigte der Tunnel erwartungsgemäß deutliche Vorteile: Ein relevantes Thema sind der Lärm und die Erschütterungen. Derzeit leiden rund 24.000 Anwohnerinnen und Anwohner darunter. Beim oberirdischen Ausbau müsste die Bahn sechs Meter hohe Schallschutzwände aufstellen und könnte dennoch bei gut 1.570 Haushalten die derzeitigen gesetzlichen Grenzwerte nicht einhalten. Ihnen bleibt im Klartext nur, Schallschutzfenster einzubauen. Auf den Grün- und Erholungsflächen an der Bahnlinie würde freilich jegliche Aufenthaltsqualität verloren gehen. Der Tunnel hingegen würde den maximalen Schutz bringen.

Schon jetzt zerschneidet die Trasse die Viertel im Münchner Osten massiv und behindert die sieben kreuzenden Wege und Straßen. Der oberirdische Ausbau auf einen 30 Meter breiten Gleiskörper mit den sechs Meter hohen Lärmschutzwänden, die auf unter 20 Meter an Wohngebäude heranrücken, zerstört das Landschaftsbild und die bestehenden Blickbeziehungen auf die Alpen oder über die landwirtschaftliche Flur. Während der Bauzeit würden zwar allen drei Varianten Gehölze und Biotopflächen zum Opfer fallen, aber beim Tunnel könnten sie wiederhergestellt werden wohingegen sie beim oberirdischen Ausbau unwiederbringlich verloren sind.

Denn auf der Tunneldecke könnten gut acht Hektar Grün- und Freiflächen entstehen. Der Tunnel wertet dabei nicht nur die Aufenthaltsqualität an dieser Stelle auf: Weil der Tunnel die aufwendigen Rampenbauwerke bei den Querungen im oberirdischen Ausbau einspart, macht der Tunnel die Fläche für bis zu 1.000 Wohnungen östlich der Bahntrasse nutzbar, die sonst wegfällt. Er hilft somit auch bestehenden Landschaftsraum an anderer Stelle zu erhalten.

Bezüglich des Betriebsablaufes zeigt die Untersuchung, dass ein oberirdischer Ausbau weiterhin Zugausfällen bzw. Verzögerungen beim Fahrplan riskiert, weil sich Instandhaltungstätigkeiten und Bergungsaktionen auf die Nachbargleise auswirken sowie Oberleitungen, Signalanlagen oder Lärmschutzwände anfälliger für Extremwetterereignisse wie Sturm, Starkregen, Hagelschlag, Schneeverwehungen oder Vereisungen sind.

Bietet der Tunnel also laut der Studie eine „sehr gute Zielerfüllung“ beim „Schutzgut Mensch“, stützt das Verkehrsministerium seine Entscheidung am Ende auf zwei Argumente: Weil der Tunnel aufgrund des hohen Grundwasserstandes aufwendiger zu bauen ist, kostet er deutlich mehr. Die Grobvariantenuntersuchung beziffert die Planungs- und Baukosten im ebenerdigen Ausbau auf 572 Mio. Euro, beim Tunnel auf 1,5 Mrd. Euro. Zweitens kalkuliert die Studie oberirdisch mit einer Bauzeit von 6 Jahren gegenüber 12 Jahren im Tunnel. Mir scheint jedoch, dass der Zeitgewinn einer oberirdischen Lösung durch die absehbaren Einwände und Klagen bis hin zur letzten Instanz ein fiktiver sein dürfte.

Ministerium soll aussagekräftige Zugzahlen vorlegen

Ausgelöst hat die Planungen ursprünglich der Freistaat Bayern als Zuständiger für den Personenverkehr. Vor zehn Jahren hat die Staatsregierung den Ausbau zwischen Daglfing und Johanneskirchen als Vorrausetzung für Express-S-Bahnen zum Flughafen beschlossen. Mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan 2016 hat sich das Bundesverkehrsministerium dann entschlossen, den Güterverkehr vom und zum Brenner über diese Strecke laufen zu lassen – und dies ohne ausreichende Unterrichtung der Öffentlichkeit. Die Verlagerung von Güterverkehr von der Straße auf die Schiene ist in meinen Augen ein sinnvolles Ziel, immerhin produzieren Güterzüge pro Tonne und Kilometer weniger als ein Viertel des CO2 eines Lkw. Aber der Güterverkehr, der nicht direkt für München bestimmt ist, sollte die Stadt großräumig umfahren. Dafür ist eigentlich der Ostkorridor vorgesehen. Dieser ist auch von Norddeutschland über Halle, Hof und Regensburg geplant – endet aber in Obertraubling, weil das Verkehrsministerium für den Anschluss über Mühldorf und Rosenheim an den Brenner nicht den nötigen Bedarf gesehen hat.

Für mich ist daher auch unverständlich, warum das Bundesverkehrsministerium mit Zugzahlen arbeitet, die die starke Zunahme des Schienengüterverkehrs über den Brennerbasistunnel nicht berücksichtigen. Das Ministerium kann nicht weiter mit den Planzahlen des Bundesverkehrswegeplanes arbeiten, sondern muss auch für München eine Szenarienstudie bis 2050 erstellen, wie es das für das Inntal getan hat. Schließlich wären die Zahlen die Grundlage für den Schallschutz, der nicht gemessen sondern errechnet wird. Alles andere wäre unehrlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in München.

Wie geht’s es nun weiter?

Nach der Grobvariantenuntersuchung geht es nun in die Feinuntersuchung. Während das Bundesverkehrsministerium dort nur den ebenerdigen Ausbau aufnimmt, finanziert die Stadt parallel die Untersuchung für eine Tunnelvariante, so dass am Ende die ausführlichen Ergebnisse für beide Varianten als Verhandlungsgrundlage auf dem Tisch liegen.

Ich fordere außerdem vom Bundesverkehrsministerium eine umfassendere Bürgerbeteiligung in Form eines Projektbeirates und von Dialogforen ein, damit dort die Kernforderungen für eine verträgliche Lösung erarbeitet werden können. So ist gewährleistet, dass am Ende der Vorplanung das Bundesverkehrsministerium alle Fakten und die Alternativen uns im Bundestag in einem Bericht vorstellen kann und wir damit die Grundlage für eine Entscheidung haben, mit der wir in die Planfeststellung und den Bau gehen können.

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