Liebe Münchnerinnen und Münchner!
Die Stadt München verdankt diesem herausragenden Mann so viel, dabei ist Hans-Jochen Vogel selbst gar kein gebürtiger Münchner, sondern stammt aus Göttingen.
Er machte jedoch mit Verweis auf die Wurzeln seiner Familie selbst klar, dass das nichts zu bedeuten hätte: »Wenn ein Pferd im Kuhstall geboren wird, ist es dennoch ein Pferd und kein Ochse.« 1960 wählten ihn die Münchnerinnen und Münchner mit 34 Jahren zum jüngsten Oberbürgermeister ihrer Geschichte.
Zwölf erfolgreiche Jahre – 4444 Tage – stand er als außerordentlich beliebter OB an der Spitze der Stadt. Ein historischer Höhepunkt war sicherlich die Bewerbung um die Olympischen Spiele von 1972. Vom Ausbau der Infrastruktur, von U- und S-Bahn, Fußgängerzone und Olympiapark profitiert die Stadt bis heute. Die Spiele haben der Welt ein neues Bild von München gezeigt und das Selbstbewusstsein der Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger gestärkt. Hans-Jochen Vogel hat München in eine Weltstadt verwandelt.
Die kommenden 22 Jahre diente er der Bundesrepublik in herausragenden Funktionen: Als Bundesminister für Bauwesen und Städtebau ist er den sozialen Wohnungsbau angegangen, als Justizminister hat er sich bei der grundlegenden Rechtsreform bewährt. Seine härteste Bewährungsprobe war der Terror der RAF, wo er mit Charakterstärke den Rechtsstaat verteidigt hat. Als einziger deutscher Politiker stand Hans-Jochen Vogel 1981 in Berlin ein zweites Mal einer Millionenstadt vor. Bei der Übernahme des Fraktionsvorsitzes im Bundestag von Herbert Wehner, steckte ihm dieser einen Zettel zu: »Trotz alledem. Weiterarbeiten und nicht verzweifeln!«. Nach einer verlorenen Wahl als SPD-Spitzenkandidat gegen Helmut Kohl hat er Fraktion und Partei, deren Vorsitz er 1987 von Willy Brandt übernahm, programmatisch neu aufgestellt und die deutsche Einheit mitgestaltet. 1994 verabschiedete er sich in einer großartigen Rede von der Bundesbühne.
Hans-Jochen Vogel blieb stets seinen Prinzipien treu und denkt in langen Linien. Seine Selbstdisziplin und sein Pflichtbewusstsein zeichnen ihn aus. Es war nicht ungewöhnlich, dass er auf dem Feldbett im Büro übernachtete oder auch mitten in der Nacht Mitarbeiter aus dem Schlaf klingelte, wenn ihm ein wichtiges Detail fehlte in seinen mit einer Vielzahl von Klarsichthüllen organisierten Unterlagen. »Politik nicht mit Wortwolken, sondern mit solider handwerklicher Arbeit«, wie er es zu nennen pflegt. Sprichwörtlich ist seine Bescheidenheit. Er zog die Straßenbahn dem Dienstwagen vor, grüßte spöttisch im Flugzeug seine Kollegen in der Businessclass auf dem Weg in die Economyclass. Es war mir eine Ehre vergangene Woche diesem herausragenden Münchner zum 90. Geburtstag gratulieren zu können. Tief beeindruckt war ich, als er seine Dankesrede abschloss mit dem Satz: »Am Ende genügen die Worte ‚Man hat sich bemüht‘«.
Ihre Claudia Tausend claudia.tausend@bundestag.de